The Beginning – Kunst in Österreich 1945 bis 1980 – 27. Mai bis 8. November 2020

Die Eröffnungsausstellung der ALBERTINA MODERN zeigt die österreichische Kunst in den entscheidenden Jahrzehnten nach 1945. Sie bietet erstmals einen umfassenden Überblick einer der innovativsten Epochen heimischer Kunstgeschichte und präsentiert die bedeutendsten Positionen an der Schwelle zur Postmoderne – vom Wiener Phantastischen Realismus über die frühe Abstraktion, den Wiener Aktionismus, die kinetische und konkrete Kunst sowie die österreichische Spielvariante der Popart bis zu dem für Wien so kennzeichnenden gesellschaftskritischen Realismus.

Die Kunst nach 1945 wurde in Österreich bis in die 1970er-Jahre hinein als „entartet“ bezeichnet. Sie wurde kriminalisiert und verdrängt: nicht zuletzt im Wiener Künstlerhaus, in dem durch die verschiedenen Präsidenten seit den frühen 1930erJahren der Ungeist des Nationalsozialismus herrschte, der einen reaktionären Kunstbegriff offiziell vertreten und auch verwirklichen konnte.

Diesen Ungeist will The Beginning exorzieren und dem großartigen usstellungsgebäude eine neue Identität schenken, indem die Schau zum ersten Mal diese Nachkriegsära der Avantgarden in Österreich in jenem Haus zeigt, in dem einst die Schandausstellung der „Entarteten Kunst“ unter dem Künstlerhaus-Präsidenten Rudolf Eisenmenger ihre letzte Station im „Dritten Reich“ gefeiert hat.

Ungeachtet des politischen – antifaschistischen – Konsens, den alle wesentlichen künstlerischen Gruppierungen der österreichischen Nachkriegszeit geteilt haben, sind im historischen Rückblick die Gräben zwischen dem Phantastischen Realismus – in Österreich die erste künstlerische Erneuerung nach Jahrzehnten der Stagnation und Provinzialisierung – und der abstrakten Malerei, zwischen dem Wiener Aktionismus und der konkreten und geometrischen Kunst zu groß, als dass man im Singular von einer Erneuerung der Kunst sprechen könnte. Die Avantgarde der „Stunde Null“ existiert in Österreich nur im Plural: als Avantgarden.

Gemeinsam sind den Künstlerinnen und Künstlern dieser Avantgarden die radikale Auflehnung gegen Autorität und Hierarchie, die Kritik an der Verdrängung vergangener Schuld und die kompromisslose Zurückweisung eines reaktionären Kunstverständnisses, das weit über 1945 hinaus in Österreich als Ideal gilt. Gegen dieses Ideal verstoßen die Schreckensbilder des frühen Ernst Fuchs, Anton Lehmden und Rudolf Hausner. Die Wiener Aktionisten von Otto Mühl bis Günter Brus und Hermann Nitsch spielen auf das gängige reaktionäre Kunstverständnis an, während die Abstrakten, Wolfgang Hollegha und Markus Prachensky dagegen anmalen. Die gesellschaftskritischen Realisten von Alfred Hrdlicka über Reimo Wukounig bis Gottfried Helnwein verfluchen dieses Ideal und Wiens Speerspitze der Art Brut von Franz Ringel bis Peter Pongratz verspottet es.

Die Künstlerinnen, die ab den späten 1960er-Jahren den Konflikt der Geschlechter zum Ausgangspunkt ihrer widerständigen Kunst machen, bekämpfen das reaktionäre Ideal ebenfalls: Die Aktionistin VALIE EXPORT und die spätere feministische Avantgarde, von Renate Bertlmann und Friederike Pezold bis Birgit Jürgenssen und Karin Mack, sind es nicht nur leid, sich von Männern repräsentieren und darstellen zu lassen. Sie positionieren sich radikal gegen die patriarchale Gesellschaft, die immer noch von den Geschlechterrollen, Zwängen und Tabus des „Austro-Faschismus“ und „Dritten Reichs“ geprägt ist.

The Beginning widmet aber auch den bedeutenden EinzelgängerInnen Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer und Maria Lassnig eigene Räume. Was Skulptur und Objektkunst in diesem Zeitraum leisten, veranschaulichen Hauptwerke von Joannis Avramidis und Rudolf Hoflehner über Wander Bertoni und Roland Goeschl bis Curt Stenvert, Bruno Gironcoli und Cornelius Kolig.

Die Eröffnungsausstellung der ALBERTINA MODERN hat sich nichts Geringeres vorgenommen als die Definition eines Kanons der österreichischen Kunst der Nachkriegsjahrzehnte. Sie zeigt insgesamt fast 100 Künstlerinnen und Künstler dieser, sich über drei Jahrzehnte spannenden, Epoche an der Schwelle zur Postmoderne. Das Stürzen der Kunstideale von Ständestaat und Nationalsozialismus sowie die internationale Vernetzung aller richtungsweisenden ProtagonistInnen sind bislang oft vernachlässigte Kennzeichen dieser Wiener Avantgarden.

Es ergibt sich für diese Ausstellung eine Epochengrenze, die über die Besatzungszeit hinausreicht, und der erst mit den 1980er-Jahren ein anderer, ein neuer Abschnitt der Kunstgeschichte gegenübersteht. Für die in den 1950er-Jahren geborene Generation waren der Nationalsozialismus und das in ihm verankerte Kunst- und Gesellschaftsverständnis keine Bezugsgrößen mehr. 2021 wird mit The Eighties dieser neue Abschnitt ebenfalls zum Gegenstand einer großen Ausstellung in der ALBERTINA MODERN.

Wenn mit The Beginning bislang unterschätzte Künstlerinnen und Künstler neu bewertet werden und die Nachkriegsavantgarden einen neuen Stellenwert erhalten, dann ist ein wesentliches Ziel dieser Ausstellung erreicht worden. Ausgangspunkt der Schau sind die Sammlungen der ALBERTINA, die jüngst durch die Akquisition der Sammlung Essl eine entscheidende Erweiterung erfahren haben – ein Meilenstein in der Geschichte des Museums. Ein Ausstellungsprojekt dieses Anspruchs und Umfangs mit knapp 400 Objekten ist darüber hinaus auf die Unterstützung vieler LeihgeberInnen angewiesen. Rund die Hälfte der ausgestellten Arbeiten stammt aus zahlreichen Privatsammlungen und internationalen Museen.

Das Konzept dieser Ausstellung und die Auswahl der gezeigten Kunstwerke – Gemälde Skulpturen, Objekte, Zeichnungen, Videos, Fotografien und Installationen – wurden von einem Ausstellungsteam unter der Leitung von ALBERTINA-Generaldirektor Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder gemeinsam erarbeitet. Neben diesem KuratorInnenteam, dem Dr. Brigitte Borchhardt-Birbaumer, Dr. Elisabeth Dutz, Dr. Berthold Ecker, Dr. Antonia Hoerschelmann und Dr. Angela Stief angehören, haben weitere AutorInnen zum umfangreichen Katalog der Ausstellung beigetragen

Ausstellungsdauer: 27. Mai – 8. November 2020

Ausstellungsort: ALBERTINA MODERN, Erd- und Untergeschoß

KuratorInnen:
Prof. Dr. Klaus Albrecht Schröder, Generaldirektor der ALBERTINA
Dr. Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Dr. Elisabeth Dutz, ALBERTINA
Dr. Berthold Ecker
Dr. Antonia Hoerschelmann, ALBERTINA
Dr. Angela Stief

Werke: ca. 360

Vertretene KünstlerInnen: 74

www.albertina.at